2 Hildesheimer

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Herb Hildesheimer war ein Zauberer. Er besaß die seltene Gabe, Zeit in etwas äußerst Zähes zu verwandeln. Die Minuten zogen sich in seiner Gesellschaft wie Stunden und der Abend wollte nicht vergehen. Die lustig gemeinten Anekdoten, die er immer wieder in die Stille gestreut hatte, machten es nicht besser. Sein Timing war grauenhaft und die Pointen so vorhersehbar wie der nächste Vollmond. Es war, als würde er die Witze mit der Faust zerquetschen, ehe er sie servierte – so lange, bis auch der letzte Tropfen Humor herausgetröpfelt war. Innerlich war Lucinda im Laufe des Abends mehrere Male weggedöst und nur der Gedanke an die Fusion hielt sie noch wach.

Als die klobige Standuhr um Mitternacht mit einem Gong die Geisterstunde einläutete, beschloss Lucinda, der Qual ein Ende zu setzen. Hildesheimer hatte ausgiebig in ihrer Anwesenheit baden dürfen. Der Opfer waren genug gebracht.

Doch der Gastgeber gab ihr schnell zu verstehen, dass er andere Pläne verfolgte. Nachdem er ungefragt nachgeschenkt hatte, setzte er sich neben sie auf die Couch und rutschte so nah an sie heran, dass sie seinen alkoholgetränkten Atem riechen konnte. Als er seine Hand auf ihr Knie legte und sie erwartungsvoll ansah, sprang Lucinda empört auf.

»Ich danke Ihnen für den Abend, Herb.« Suchend sah sie sich nach ihrer Handtasche um. »Unsere Leute werden sich morgen früh mit Ihren Leuten in Verbindung setzen, damit wir das Geschäft zum Abschluss bringen können.«

»Wo wollen Sie denn hin, meine Liebe?« Mit der Handfläche klopfte Hildesheimer auf den Platz neben sich. »Ich dachte, wir plaudern noch ein wenig.«

»Und ich dachte, wir hätten alles Wichtige besprochen«, sagte Lucinda, um einen sachlichen Ton bemüht.

»Ich weiß nicht. Haben wir das?« Er lehnte sich zurück und sah sie herausfordernd an. »Ich kann nicht behaupten, dass Sie alle meine Bedenken ausgeräumt haben.«

Es war offensichtlich, dass er das Geplänkel der letzten Stunden als eine Art Vorspiel ansah. Der Deal würde nur zustande kommen, wenn sie bereit war, sich auf mehr einzulassen. 

Mit einem Seufzen versuchte sie ihren Ärger zu bändigen. Sie hatte nichts gegen Menschen, die ihr Glück herausforderten. Das konnte durchaus amüsant sein. Doch hier glaubte jemand, sich mehr nehmen zu dürfen als ihm zustand. Dass gewisse Grenzen für alle außer ihn galten. 

»Kommen Sie, Lucy. Wir wissen beide, welche Art von Treffen das hier ist. Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie sich für diese Korsage und diesen Rock entschieden haben, um mit mir über Bilanzen zu reden.«

»Es ist spät«, antwortete sie. »Ich sollte wirklich gehen.« Der Ekel, den ihr Name in seinem Mund auslöste, war nicht mehr abzuschütteln. Cyrus stand tiefer in ihrer Schuld, als er ahnte.

»Setzen Sie sich«, sagte Hildesheimer und es klang nicht wie eine Bitte.

Normalerweise verstand sich Lucinda gut in Diplomatie. Doch dieser Mann stellte ihre Geduld auf eine harte Probe. »Es tut mir leid, dass meine Kleiderwahl Sie dazu verleitet hat, falsche Schlüsse zu ziehen, Herb«, sagte sie, während ihre Fingernägel sich in ihre Tasche drückten. »Im Hinblick auf unsere zukünftige Partnerschaft halte ich es für das Klügste, wenn wir das hier beenden. Bevor einer von uns etwas tut, das er bereuen könnte.«

»Gut, dann drück ich mich mal deutlicher aus.« Hildesheimer war aufgestanden und hatte sich vor ihr aufgebaut. »Wenn Sie jetzt gehen, wird es keine Zusammenarbeit geben.« Ein selbstgefälliges Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.

Mit jeder Sekunde, die Lucinda gezwungen war, seine Visage zu ertragen, wuchs ihre Wut. Hildesheimer glaubte sie in der Hand zu haben. Er dachte sie mit der Tatsache erpressen zu können, das Zünglein an der Waage zu sein – der Entscheider, der alles kippen konnte. Und in gewisser Weise hatte er Recht. Von der Fusion profitierten in erster Linie die Kingsleys. Käme diese nicht zustande, wäre das vor allem von Nachteil für Cyrus und seine Expansionspläne. Doch in seiner Überheblichkeit unterschätzte Hildesheimer die Gefahr, in die er mit jeder unverschämten Bemerkung tiefer hineinschlitterte. 

»Ich werde so tun, als hätte ich das nicht gehört«, sagte Lucinda und wandte sich von ihm ab. »Wir sprechen uns morgen.«

Natürlich hatte er keine Ahnung, welche Anstrengungen sie tagtäglich unternahm, um ihr Temperament zu zügeln und mit Abschaum wie ihm im Einklang zu leben. Er wusste nicht, welche Überwindung es sie kostete, ihre Instinkte im Zaum zu halten und die Mordgelüste zu unterdrücken. Den Regeln der menschlichen Zivilisation unterwarf sie sich nur widerwillig und nur ihrem Sohn zuliebe. Die Mühen, die es ihn gekostet hatte, das Kingsley-Imperium aufzubauen, sollten nicht umsonst gewesen sein, auch wenn das bedeutete, dass sie sich von Gewohnheiten lossagen musste. Doch in Momenten wie diesem sprach wenig für scheinheilige Diplomatie und viel dafür, die alte Lucinda aus ihrem Gefängnis zu lassen. 

Als sie seine verschwitzte Hand auf ihrem Rücken spürte, riss der Faden, der sich bis dahin langsam aufgedröselt hatte, endgültig. Wütend fuhr sie herum und fixierte ihn mit ihrem Blick. Hildesheimer wich zurück, doch die Geister, die er mit seinem Übermut heraufbeschworen hatte, waren nun nicht mehr einzufangen. Zu lange hatte Lucinda gehungert. Zu oft gelächelt, wenn ihr zum Schreien zumute gewesen war. Mit jedem Schritt, den sie Hildesheimer vor sich her trieb, wuchs ihre Gier, sich an seinem Elend zu laben. Sein versteinertes Gesicht war die Belohnung für ihre Geduld. Seine Angst ihr Elixier.

»Hören Sie«, stotterte er. »Es tut mir leid. Das war doch alles nicht so gemeint.« Schützend hielt er die Hände vor seine Brust und stolperte fast über seine eigenen Füße. Als er den Schatten sah, der sich über ihnen an der Decke ausbreitete und das Zimmer zu verschlingen drohte, duckte er sich weg.

Wie erfüllend es doch war, ihn in seine Schranken zu weisen. Wie schön zu wissen, dass sie nicht aus der Übung war. Sie genoss das Gefühl der Macht, das sie über ihn hatte, während ihr Blick sich wie ein lähmendes Gift in seinen Gliedern ausgebreitete. Zufrieden beobachtete sie, wie er nach Luft japste und sich mit der Hand an die Kehle packte, während er auf die Knie sank.

Es war Zeit für eine Lektion. Nie wieder sollte er es wagen, sie respektlos zu behandeln. Am Ende würde er in winselndem Gehorsam an den Platz zurückkriechen, der für eine niederen Kreatur wie ihn vorgesehen war.