5 Neue Wege

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»Wie ist es gelaufen?« Doyle sah hinter seinem Computer auf. »Was hat der Chief gesagt?« 

»Ich bin dabei«, sagte Orla mit einem Gefühl im Bauch, als hätte sie einen dieser Casting-Vorentscheide im Fernsehen gewonnen – irgendwo zwischen Freude, weil man die erste Hürde genommen hatte und Nervosität, weil es jetzt erst richtig losging.

»Großartig! Willkommen an Bord, Agent Mayfield«, sagte Doyle und griff nach seinem Telefon. »Dann werde ich mal unser Team zusammentrommeln.«

»Warte!« Bevor er eine Nummer wählen konnte, legte Orla ihre Hand auf seine. »Verrätst du mir erst, worum es eigentlich geht?«

»Hat der Chief nichts gesagt?«

»Nur, dass ich dankbar sein soll für die Chance, mich zu rehabilitieren.« Seufzend schnippte sie mit dem Finger gegen den Wackelkopf der Superheldenfigur auf seinem Schreibtisch und betrachtete das hypnotische Nicken. So albern sie Mirror Man fand – in solchen Momenten wünschte sie sich auch einen Spiegel, mit dem sie alle Angriffe einfach abwehren und über grelle Reflexionen zurückschießen konnte.

»Ich hätte nicht gedacht, dass er wegen der Grogon-Geschichte so nachtragend ist«, hörte sie Doyle sagen.

»Ich auch nicht.« Orla spulte die letzte Stunde in Gedanken zurück und pausierte an der Stelle, als der Chief sich über ihre Personalakte gebeugt und immer wieder den Kopf geschüttelt hatte, als wäre ihre bisherige Laufbahn eine einzige Kette von Verfehlungen. Hätte sie vorher gewusst, wie frostig es in seinem Büro werden würde, wäre sie in Daunenjacke und Ohrenschützern angetreten. »Ich hatte bis zum Schluss das Gefühl, mit jedem Wort ein Stückchen mehr Richtung Abstellgleis geschoben zu werden«, sagte sie, ein letztes Frösteln noch immer im Nacken. »Doch dank der Fürsprache meines Lieblingskollegen …« Sie trat zu Doyle hinter den Bürostuhl und massierte ihm die Schultern. »… sitze ich ab heute wieder im Sattel.« 

»Ich konnte doch nicht zulassen, dass du zu Hause auf der faulen Haut liegst, während wir anderen hier in Arbeit ertrinken«, erwiderte ihr Freund.

»Ich bin schon so gespannt, was wir … « Orlas Gedanken kamen ins Stolpern, denn etwas auf Doyles Bildschirm erregte ihre Aufmerksamkeit. »Die APA-Hundestaffel? Was hast du denn mit denen zu tun?«

Schuldbewusst blickte ihr Freund sich um und klickte die Webseite weg, als wäre er gerade beim Ausspionieren des Pentagons erwischt worden. »Ich habe mich nach freien Plätzen für die Ausbildungskurse erkundigt. Wenn ich die Lizenz mache, kann ich Roscoe ganz offiziell behalten.« Im Flüsterton fuhr er fort: »Ich kann ihn ja nicht ewig vor der Welt verstecken.«

Dass ihnen die Sache mit Roscoe seit einiger Zeit buchstäblich über den Kopf wuchs, war nicht mehr zu leugnen. Höllenhunde passten nicht in die Menschenwelt. Schon gar nicht in ein Zwei-Zimmer-Apartment mit papierdünnen Wänden. »Eine offizielle Anerkennung wird nicht alle Probleme lösen«, raunte Doyle. »Doch es gibt mir die Möglichkeit, Fördermittel für eine artgerechte Unterbringung zu beantragen.« 

»Und wie sieht es aus mit freien Plätzen?«, fragte Orla.

»Bescheiden.« Doyle seufzte. »Die nächsten freien Termine gibt es erst in zwei Monaten. Bis dahin kann ich aber immerhin mit ihm trainieren, damit es später leichter wird, ihn bei der APA unterzubringen. Es gibt da einen guten Übungsplatz, etwas außerhalb.«

»Warte, warte!«, sagte Orla. »Du trainierst mit ihm? Willst du etwa ganz weg?«

Verlegen kratzte sich Doyle am Hinterkopf. »Es steht noch nichts fest. Aber die Idee, in eine andere Einheit zu wechseln, existiert ja schon länger. Roscoe wäre perfekt für den Job und ich hätte mehr Verantwortung.«

»Und was wird aus uns beiden?«

»Was soll da sein?«, sagte er und zuckte mit den Schultern. »Zwischen uns wird sich nichts ändern.«

»Aber wir werden uns viel weniger sehen.«

»Uns dafür aber umso mehr zu erzählen haben.«

Das Leuchten in seinen Augen stimmte Orla wehmütig. Sie wusste, dass er recht hatte. Dass es Zeit für einen Wechsel war. Nach Jahren der Routine fehlte Doyle die Herausforderung. Er wollte selbst ins Feld und für Gerechtigkeit sorgen, nicht nur anderer Leute Aufpasser spielen. Andeutungen hatte es genug geregnet, doch Orla hatte sie alle überhört. Nun fühlte sie sich wie ein Bremsklotz, weil sie seinen Wunsch nach Veränderung aus purem Egoismus ignoriert hatte. 

»Keine Sorge.« Doyle stupste mit dem Finger an ihr Kinn und zwang sie so, ihn anzusehen. »Bis dahin geht eh alles den Bach runter.«

Sein Lächeln wollte nicht so recht zum Gesagten passen. Doch dann realisierte Orla, dass ihr Freund mal wieder im Kopf Sprichwörter gewürfelt hatte. Als Menschenwelt-Neuling gelang es ihm nicht immer, Redewendungen korrekt abzuspeichern. Entsprechend kryptisch waren viele seiner Weisheiten, wenn er sie wieder abrief. 

»Ich hoffe, du meinst damit, dass uns noch viel Zeit zusammen bleibt«, sagte sie mit einem Schmunzeln auf den Lippen.

»Was dachtest du denn?« Er zeigte auf das andere Ende des Großraumbüros. »Willst du schon mal vor? Ich brauch hier noch einen Moment.«

Orla zögerte. »Ich weiß noch immer nichts über das Projekt.«

»Keine Sorge«, sagte Doyle und tippte etwas in sein Handy »Alyson hat extra eine Präsentation für dich vorbereitet.«

»So sicher wart ihr euch, dass ich an Bord komme?«

»Nennen wir es optimistisch«, antwortete er und winkte sie höflich, aber bestimmt weg.