4 Gekommen, um zu bleiben

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»Bei den Blumen für die Tischdeko dachte ich an üppige Bouquets aus Hortensien in einem dunklen Purpur, weiß-violetten Lisianthus und Rosen …«

»Keine Rosen!« Die Vehemenz, mit der Lucinda Kingsleys Stimme durch den Grünen Salon hallte, ließ ihren Eventplaner erstarren.

»Keine Rosen«, wiederholte Percy brav, während er sich eine Notiz in seinem Tablet machte und sie rot markierte.

»Rosen gefallen nur denjenigen, denen der Sinn für das Besondere fehlt«, sagte sie und starrte auf das Bouquet, als wolle sie die Blumen mit ihrem Blick verwelken lassen. »Sie besitzen Schönheit, gar keine Frage, aber eben die von der gewöhnlichen, langweiligen Sorte.«

»Ich verstehe.« Am liebsten hätte Percy die Rosen sofort herausgerupft, doch das hätte die Vollkommenheit des Tischschmucks zerstört. Er konnte nur hoffen, dass sein Fauxpas nicht auf den Rest des Bouquets abfärbte. Hastig wies er auf die exquisiten Besonderheiten der Blumengestecke hin: »Eine gleichsam verspielte wie edle Note erhalten die Arrangements durch die Edelsteine, die eingearbeitet werden: Amethysten, Champagner-Diamanten und goldene Saphire.«

Diesmal kam kein Einwand von der Auftraggeberin und Percy atmete auf. Es war nicht gerade leicht, Lucinda Kingsley zufriedenzustellen. Auf Versagen reagierte sie mit Unverständnis und harter Hand. Gerüchtehalber hatten einige seiner Vorgänger deutlich zu spüren bekommen, welche Konsequenzen es hatte, die Dame des Hauses zu enttäuschen.

Diejenigen, die mit dem Schrecken davon kamen, setzten sich danach zur Ruhe. Andere hatten weniger Glück. Lange schon munkelte man, dass ein gewisser Vernon Kane mit seinem Leben bezahlen musste, nachdem dessen Schmetterlinge bei ihrem Jungfernflug verendet und zu Hunderten in die Suppe der Gäste gefallen waren. Dass Lucinda ihm persönlich den Kopf abgerissen hatte, war zwar nur Getuschel, doch die Tatsache, dass er an diesem Tag spurlos verschwand, ließ genügend Raum für Spekulationen.

So wollte Percy nicht enden. Wochenlang hatte er sich auf diesen Termin vorbereitet, die Feste der Vorgängerjahre analysiert und zu all seinen Vorschlägen, die er daraufhin ausgearbeitet hatte, auch Alternativen eingeplant. Die Rosen würden sein einziger Fehlgriff bleiben. Diesen Optimismus musste er sich leisten. Denn wenn er erst ins Zweifeln kam, war er schon verloren.

»Was ist das?« Lucinda deutete auf eine Pflanze, die sich aus den Bouquets emporstreckte.

»Tacca chantrieri – eine Fledermausblume«, antwortete Percy erfreut über ihr Interesse. »Auch Teufelsblume oder Dämonenblüte genannt.« 

Seine Wahl schien ihr zu gefallen. Fasziniert betrachtete sie die langen Fäden, die wie Tentakel aus dem Inneren der purpurfarbenen Pflanze sprossen. 

»Sie erinnert mich an die Galuga-Gnome in Pandaemonia«, sagte Lucinda, während ihre Finger vorsichtig die Blüte berührten. »Wenn die sauer sind und Gift spucken, sehen sie auch so aus.«

Percy bemerkte so etwas wie Freude auf ihrem Gesicht und fühlte sich ermutigt, seine Pläne näher zu erläutern. »Ich hatte vor, sie als Highlight in die Bouquets einarbeiten zu lassen.« Als die erhoffte Reaktion ausblieb, fügte er hektisch an: »Man kann sie aber auch gut einzeln präsentieren, um die volle Wirkung zu haben. Vielleicht in goldenen Vasen.« Während er in seinem Tablet nach dem Moodboard „Purpurnächte“ suchte, bemerkte er im Augenwinkel, wie Lucinda sich vorbeugte und an der Blüte mit den Fledermausflügeln schnupperte. »Leicht süßlich, aber nicht zu aufdringlich.«

»Ich habe lange gesucht«, antwortete Percy. »Die außergewöhnlichen Blüten einer Dracunculus vulgaris hätten sich auch sehr gut gemacht, doch wer möchte auf seiner Party schon den Gestank von verrottendem Fleisch in der Luft?« Seine Nervosität ließ ihn schrill auflachen. Als er bemerkte, dass sich Lucinda Kingsleys Mine wieder versteinerte, befürchtete er, mit seinem Botaniker-Witz alles ruiniert zu haben, doch dann nickte seine Auftraggeberin zustimmend.

»Wie sieht es mit den Tischdecken aus?« Die Arme hinter dem Rücken verschränkt, schlenderte sie hinüber zu dem Tisch, auf dem zahlreiche Stoffproben drapiert waren.

Percy folgte ihr auf dem Fuß. »Jacquard für die Tafeltücher und venezianische Seide für …«

Ein Klopfen an der Salontür unterbrach ihn.

»Entschuldigen Sie, Mrs. Kingsley.« Einer der Diener war eingetreten und kündigte den Besuch eines Herren an. 

»Ich erwarte niemanden«, antwortet Lucinda – den Blick auf die Stoffe gerichtet.

»Es scheint dringend«, sagte der Diener. »Er wirkt sehr aufgebracht.«  

Lucinda deutete auf einen Stoffballen aus Jacquard. »Das hier für die Festtafel.« Behutsam fuhr sie mit den Fingern über die Reticella-Spitze. »Und die hier für den Tischläufer.«

Auch wenn Percy die gewünschten Materialproben kommentarlos hervorzog, damit Lucinda sie näher prüfen konnte, fand er diese Kombination furchtbar. Sein Auge begann zu zucken, wie es das oft tat, wenn der innere Widerstand aufflammte, aber die Courage sich versteckte. »Ich habe die Stoffe teilweise direkt aus Italien importieren lassen«, sagte er, während er versuchte, das verräterische Zucken vor seinem Gegenüber zu verbergen. »Alles von Hand bestickt. Eine Liaison aus Klassizismus und moderner Fasertechnik. Die Herstellung …«

»Ich bin mir bei der Farbe noch etwas unsicher«, sagte Lucinda, während sie beide Stoffmuster übereinander schob. Nach kurzem Zögern ergriff Percy die Initiative, wählte zwei Stoffe aus, die seiner Meinung nach besser harmonierten und legte sie daneben. Ihr Zögern kam einer Tortur gleich. Was, wenn er sich mit seiner Besserwisserei disqualifiziert hatte? In seinen Gedanken regnete es die ersten toten Schmetterlinge.

»Ich würde das gerne einmal als Ganzes sehen«, sagte Lucinda schließlich. »Ich möchte auf keinen Fall, dass es zu überladen wirkt.«

»Sehr wohl, Mrs. Kingsley.«

»Bereiten Sie zwei Tische vor. Blumen, Geschirr, das gesamte Ensemble.«

»Ich werde mich sofort darum kümmern.«

»Wer ist es?«, rief sie dem Diener zu, der überrascht zusammenzuckte. 

»Ein gewisser Mr. Turner, Ma’am.«

Für einen Moment schien es, als wäre sie aus der Balance geraten. Wie jemand, der in etwas getreten war und nun irritiert die Nase rümpfte. 

»Kümmern Sie sich um die Arrangements«, sagte sie zu Percy. »Wenn ich zurück bin, treffen wir eine Entscheidung.«

Der Eventplaner glaubte einen Seufzer zu hören, bevor Lucinda dem Diener hinaus folgte. Doch vielleicht war es auch die eigene Erleichterung über die kurze Verschnaufpause, die ihm der fremde Besucher beschert hatte.