2 Hildesheimer

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»Hättest du damit nicht warten können, bis die Fusion über die Bühne gegangen ist?« Cyrus ließ sich das Handy des Opfers geben, bevor seine Männer den leblosen Körper in das Badezimmer trugen.

»Ich wollte ihn nur ein wenig zurechtweisen«, sagte Lucinda und zuckte mit den Schultern. »Er hat sich unmöglich benommen.« Seufzend ließ sie sich auf die Couch sinken. »Hätte ich ahnen können, dass er gleich tot umfällt?«

»Hättest du«, antwortete Cyrus. »Das ist schließlich nicht das erste Mal, dass dir so etwas passiert.«

»Jetzt fang nicht mit irgendwelchen alten Geschichten an.« Lucindas Blick fiel auf den Cocktail, den Hildesheimer für sie gemixt hatte. Ihn unangerührt wegzukippen, wäre eine bedauerliche Verschwendung gewesen. 

»Ich dachte, wir waren uns einig, dass so etwas nicht noch einmal vorkommt«, hörte sie die Stimme ihres Sohnes, doch ihre Aufmerksamkeit galt dem Drink. Hildesheimer sollte sich nicht umsonst die Mühe gemacht haben. In gewisser Weise war sie es ihm sogar schuldig. Als letzte Geste sozusagen. 

Sie nahm einen Schluck und genoss den herben Geschmack auf ihrer Zunge. Während Cyrus das Handy des Toten studierte, studierte sie ihren Sohn. Im Laufe der Jahre hatte er sich zu einem ausgezeichneten Krisenmanager entwickelt. Aus dem Zauderer war ein Mann der Tat geworden, der Probleme in Chancen verwandelte und sich mit klugem Kopf aus Sackgassen heraus dachte. Die Lücke, die Aamon hinterlassen hatte, war noch da, doch sie war kleiner geworden.

»Ich werde von seinem Account eine Mail an seine Anwälte schicken«, sagte Cyrus. »Je schneller wir das jetzt abwickeln, umso besser.« Hastig tippte er etwas in Hildesheimers Telefon, bevor er zur Tür ging und mit jemandem sprach, der sich außerhalb von Lucindas Blickfeld befand. »Hat dich jemand gesehen?«, hörte sie ihn fragen.

»Nein, Boss. Alles ruhig draußen.«

Als Lucinda sah, wer das Apartment betreten hatte, verschluckte sie sich fast an ihrem Cocktail. Quicklebendig und unversehrt schlenderte er herein: Herb Hildesheimer war von den Toten auferstanden, um sich an ihr zu rächen!

»Guten Abend, Mrs. Kingsley.« 

Augenblicklich erkannte sie das leichte Lispeln in der Stimme und atmete erleichtert auf. »Hallo Garvey.« Sorgsam betupfte sie mit ihrer Serviette die Cocktailflecken auf dem Kissen neben sich.

Cyrus drückte Garvey das Telefon des Toten in die Hand. »Du hältst dich erst mal zurück, bis sich seine Anwälte bei dir melden«, sagte er. »Wenn zwischendurch jemand anruft, lass es einfach klingeln.«

»Ich könnte ihm beibringen, so zu sprechen wie Hildesheimer«, rief Lucinda ihnen von der Couch aus zu.

»Dafür haben wir keine Zeit, Mutter.«

»Er hatte diese seltsame Art, bestimmte Wörter zu betonen. So als wüsste er gar nicht, was sie bedeuten.«

»Halte dich einfach raus. Ich kümmere mich um alles.«

»Und wenn er gelacht hat, hörte sich das immer wie ein Grunzen an.« Die Erinnerung war äußerst amüsant. Lucinda stellte sich Hildesheimer als Wildschwein vor – mit fiesen Hauern, die aus seinem Mund ragten und Borsten auf dem Kopf. Die neuste Trophäe in der Sammlung der erlegten Großmäuler an ihrer Wand.

»Ich glaube, du hast genug getan für heute«, sagte Cyrus. »Warum machst du dich nicht auf den Heimweg? Ich komme später nach.«

»Was immer du sagst.« Lucinda Kingsley war niemand, der sich aufdrängte. Dass ihr Sohn sie nicht dabei haben wollte, kam ihr sogar entgegen. Normalerweise vermied sie es, mit Individuen wie Garvey in einem Raum zu sein – dem Mann der wenigen Worte und der noch wenigeren Manieren. Sie tolerierte ihn nur, weil er unerschütterlich loyal war. Seine Wandlungskünste hatten sich mehrfach ausgezahlt, wenn es darum ging, die Dinge zu ihren Gunsten zu drehen. Doch damit endete auch schon das Wohlwollen, das sie ihm entgegenbrachte.

Sie bemerkte, wie er seinen Blick durch das Apartment schweifen ließ, auf der Suche nach Schätzen, die er plündern konnte. Allein der Gedanke daran, wie er die edle Einrichtung mit seinen schmierigen Fingern betatschte, bereitete ihr Unbehagen – auch wenn es ein vergleichsweise kleiner Preis war, den sie für seine Dienste zahlten und es mehr als unwahrscheinlich schien, dass Hildesheimer noch etwas mit seinen Habseligkeiten anfangen konnte.

»Wenn sich alle an den Plan halten, kriegen wir das gedreht«, hörte sie Cyrus sagen. »Keine Telefonate. Kein Kontakt zu irgendwem. Wir müssen nur die nächsten Stunden überbrücken, ohne aufzufallen. Beim Termin werde ich das Reden übernehmen. Unterschrift, Foto für die Pressemeldung und raus da.« Er blickte Richtung Bad. »Danach schicken wir unseren Freund hier spontan in einen langen Urlaub, von dem er nicht wiederkehren wird.«

Lucinda dachte daran, wie Hildesheimer während des Essens mit seiner Jacht angegeben hatte. Euphemia – die Glückverheißende. Er hatte Lucinda eingeladen, mit ihm einen Ausflug zu machen. Zu zweit. Dem Sonnenuntergang entgegen. Er hatte einen Pool erwähnt und zotige Andeutungen gemacht. Nun lag er in einer Badewanne. Allein. Vermutlich nicht das Ende, das Euphemia ihm versprochen hatte.     

»Wir müssen uns draußen um die Überwachungskameras kümmern«, sagte Cyrus zu Garvey. »Niemand darf erfahren, dass sie hier war.«

Sein genervter Blick in ihre Richtung, entging ihr nicht. Doch auch wenn seine Art sie ein wenig kränkte, verstand sie, dass es Zeit war zu gehen. Sie nahm einen letzten Schluck von ihrem Drink, bevor sie ihre Augen schloss und sich das beruhigende Knistern ihres Kamins in Thornwood vorstellte.

Dieser Ort war zu trostlos, um noch länger zu verweilen.


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