Der Eventplaner hatte die Zeit ihrer Abwesenheit genutzt und opulent aufgetischt. Das Kristall, die edlen Stoffe und die prunkvollen Gestecke bildeten auf beiden Tischen ein perfektes Ensemble, sodass es unmöglich war, sich für einen von ihnen zu entscheiden. Da Lucinda längst Anderes im Kopf hatte, verkündete sie kurzerhand, dass Percy die Wahl alleine treffen sollte.
»Mir wäre nur wichtig, dass es nicht zu unruhig wird«, sagte sie.
»Ich kann Ihnen versichern …«
»Ich hatte mal jemanden, der vorschlug, dass sich Farbe und Muster des Stoffes alle naselang ändern.«
»In der Tat ein interessanter …«
»Eine grauenhafte Idee. Allein beim Gedanken daran wird mir übel«, sagte Lucinda. »Als würde jemand auf der Fernbedienung sitzen und man wäre gezwungen mitanzusehen, wie sich ständig das Programm ändert. Ich kann mir kaum etwas Nervigeres vorstellen.«
»Das stimmt natürlich.«
»Außerdem braucht es solch einen Firlefanz nicht. Die Hälfte meiner Gäste sind gewöhnliche Menschen mit gewöhnlichen Leben. Ihr Highlight dürfte schon allein die Einladung nach Thornwood sein. Ich muss niemanden mit billiger Gaukelei beeindrucken.
Der Eventplaner hob den Zeigefinger, um etwas zu sagen, wirkte aber so verknautscht, als würde er den Gedanken lieber nicht aussprechen wollen. »Apropos … Gau-ke …« Er schien das Wort zerkauen zu wollen. »… -lei. Wir hatten beim letzten Mal nur kurz über die engagierten Künstler gesprochen«, stammelte er.
»Die Feuerschlucker?« Lucinda runzelte die Stirn.
»Und Akrobaten. Zur Unterhaltung zwischen den Gängen.«
»Ja, nein. Ich denke nicht.«
»Wie meinen, Ma’am?«
»Ich denke nicht, dass wir das brauchen.«
»Aber Sie hatten sie bereits fest engagiert.«
»Dann sagen Sie eben wieder ab«, antwortete Lucinda. »Was wollen wir denn mit Gauklern? Wir veranstalten doch keinen Mittelaltermarkt.« Sie schnappte sich sein Tablet und suchte nach der Sitzordnung.
»Also soll ich den gesamten Programmpunkt streichen?«, hörte sie Percy sagen.
Anstatt zu antworten, deutete sie ihm zu schweigen, damit sie sich auf die Datensuche konzentrieren konnte. Die Menge an Ordnern war verwirrend und die Hierarchie folgte keiner Logik. Früher hatte es dicke Mappen gegeben, in denen alles abgeheftet war. Das verkürzte zwar das Suchen nicht, doch man hatte mehr Spaß beim Befühlen der farbenfrohen Seiten. Außerdem verlief man sich nicht in einem Labyrinth aus Ordnern und Unterordnern.
»Wie wäre es mit Pantomimen?«, sagte sie schließlich und konnte nicht glauben, dass sie seinen Job für ihn machte. Als keine Antwort kam, blickte sie ihn direkt an. »Die machen keinen Lärm. Und wir müssen nicht befürchten, dass sie etwas abfackeln.«
»Da müsste ich erst einmal recherchieren«, sagte Percy. »Pantomimen sind nicht besonders gefragt im Moment. Eine aussterbende Kunst, wenn man so will.« Er lachte dieses keuchende Lachen, das Lucinda nicht leiden konnte. »Aber ich werde sicher jemand auftreiben können.«
»Zeigen Sie mir den Sitzplan.« Genervt gab sie ihm das Tablet zurück.
»Erlauben Sie mir eine letzte Anmerkung, bevor wir …?« Er wirkte, als befürchtete er, dass jeden Moment etwas auf ihn herabstürzte. Was war los mit ihm? Wieso zuckte sein Auge so penetrant?
»Ich bin mit ein paar Formwandlern bekannt. Ein Duo. Wunderbare Künstler. Spezialisiert auf modernen Tanz.«
»Und?«
»Nun, ich könnte mir vorstellen, dass sie genau die richtige Art der Unterhaltung bieten, nach der Sie suchen. Kraftvoll und elegant. Nicht zu aufdringlich und trotzdem etwas, das einen Eindruck hinterlassen wird.«
»Das klingt zu schön, um wahr zu sein.«
»Stellen Sie sich zwei Körper vor, die miteinander verschmelzen und zu etwas ganz Neuem werden. Zwei Körper im Einklang miteinander und mit den Elementen um sie herum.«
»Solange es kein Feuer ist.«
»Kein Feuer.« Percy legte das Tablet beiseite. »Aber vielleicht ein Baum, der vom Wind geküsst wird und sich in eine Welle verwandelt, die sich schließlich in einem Schwarm Glühwürmchen auflöst …« Die Begeisterung hatte auf befremdliche Art von ihm Besitz ergriffen. Sein Körper folgte den Beschreibungen so euphorisch, dass Lucinda fürchtete, er würde jeden Augenblick anfangen zu tanzen.
»Metamorphosen«, murmelte sie. Ihr gefiel die Idee. Doch das würde sie vorerst für sich behalten. Untergebene waren wie kleine Kinder. Zu viel Lob sorgte für unnötige Höhenflüge. »Machen Sie einen Termin aus«, sagte sie.
»Mit den Tänzern?«
»Und den Pantomimen. So können wir uns einen Eindruck verschaffen, was besser zu unserem Ambiente passt.«
Percy nickte eifrig. »Ich kümmere mich sofort darum.«
»Jetzt konzentrieren wir uns erst einmal auf den Sitzplan.«
»Sehr wohl.« Der Eventplaner wischte mit seinem Finger über das Display des Tablets und projizierte ein Schaubild der Festtafel in die Luft. Die einzigen Namen, die bereits vermerkt waren, waren die von Lucinda und ihren Söhnen in der Mitte der U-förmigen Anordnung.
»Wir haben noch zwei freie Plätze am Kopf der Tafel.«
»Das ist richtig, Mrs. Kingsley. Jeweils einen neben Ihren beiden Söhnen.«
»Dann setzen wir Lazlo neben Cyrus. Er ist der Älteste im Hohen Rat. Und neben Samael möchte ich Cordelia Betancourt.« Aufmerksam beobachtete Lucinda, wie die Namen nacheinander im Sitzplan aufleuchteten.
»Die restlichen Mitglieder des Hohen Rates platzieren wir zu gleichen Teilen auf der rechten und der linken Seite.« Lucinda überlegte einen Moment. »Nein, warten Sie. Setzen Sie Edgar Vaughn zu den Betancourts. Er wird sich unheimlich wichtig vorkommen und entsprechend zugänglich sein.«
Es war eine einfache Rechnung. Die Betancourts profitierten von dem Kontakt zu Senator Vaughn, vor allem in Hinblick auf ihr aktuelles Bauvorhaben. Der Senator konnte sich im Gegenzug mit mächtigen Verbündeten rühmen, die ihm die Wiederwahl sicherten. Für Lucinda blieb die Gewissheit, dass die Beteiligten damit in gewisser Weise in ihrer Schuld standen. Eine Win-win-Situation für alle. Und ein Konzept, das man auf die gesamte Tafel übertragen konnte.
»Wieso lockern wir das Ganze dieses Jahr nicht etwas auf?« Lucinda schnappte sich das Tablet und begann die Namen hin und herzuschieben. Zwischen die Ratsmitglieder setzte sie hochrangige Vertreter aus Medien, Wirtschaft und Politik – den jeweiligen Nutzen, den beide Seiten füreinander haben könnten, stets im Blick. Ein Novum, da sie den Hohen Rat bisher stets getrennt vom menschlichen Teil der Gäste platziert hatte, um Konflikte zu vermeiden. Besonders die Ältesten waren in dieser Hinsicht konservativ und mieden ein direktes Zusammentreffen mit Sterblichen. Man tolerierte sie, doch man schenkte ihnen keine Beachtung.
In diesem Jahr sollte sich das ändern. Lucinda würde ein Experiment wagen und zumindest den jüngeren Ratskollegen den praktischen Nutzen menschlicher Verbündeter näherbringen. Es war riskant. Doch wenn ihr Plan aufging, würde sie ihrer Familie zu mehr Einfluss innerhalb des Rates verhelfen. Ein wohlwollender Artikel vom Sitznachbarn hier, eine kleine Änderung der Gesetze da – mehr brauchte es nicht, um sich die Dankbarkeit ihrer Ratskollegen zu sichern. Der Vorteil für zukünftige Abstimmungen lag auf der Hand.
Ihren Widersacher Barnabas, den sie nur eingeladen hatte, weil das Protokoll es eben so vorsah, würde sie ganz am Ende der Tafel platzieren. Fernab von den wichtigen Gesprächen. Am besten neben Nancy Woolcomb, der geschwätzigen Charitylady, die auch nur auf der Gästeliste gelandet war, weil Lucinda ihr noch einen Gefallen schuldete.
Mit einem schwungvollen Fingerwisch setzte sie die beiden zusammen. Während alle anderen an diesem Abend fruchtbare Kontakte knüpfen durften, sollte Barnabas dazu verdammt sein, sich Geschichten über Woolcombs dreizehn Chinchillas und ihre Passion fürs Töpfern anzuhören. Die Paarung war perfekt.
Es war wie mit den Zitronen, die das Leben einem manchmal vor die Füße warf. Aus faulen Äpfeln konnte man zwar schlecht Limonade pressen, aber man konnte sie isolieren und sich daran erfreuen, wie sie unnütz vor sich hin gammelten. Der Fokus einer guten Gastgeberin lag eben immer auch auf dem eigenen Glück. Denn nur wer Freude empfand, konnte Freude verschenken – an diejenigen, die es wirklich verdienten.