7 Die Ordnung der Dinge

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»Es gibt zwei Möglichkeiten.« Cyrus ließ die Tür ins Schloss fallen, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und umkreiste seine in Ungnade gefallenen Männer mit bedächtigen Schritten. »Entweder ihr wart so dämlich, euch von eurem Kameraden hinters Licht führen zu lassen oder ihr wart so dämlich, gemeinsame Sache mit ihm zu machen.« Er blieb stehen und musterte die beiden von oben bis unten. In die Stille mischte sich ein hölzernes Knarren – ein Stakkato, das er zunächst nicht zuordnen konnte. Doch dann sah er es. Dem Größeren zitterten die Knie derart unkontrolliert, dass sich das Zittern auf die Dielen übertrug. 

Genüsslich labte Cyrus sich an dem Anblick, bevor er seine Ansprache fortsetzte: »Letzteres würde mir zumindest ein Quäntchen Respekt für euch abringen. Den Schneid muss man erst mal haben, mich so zu hintergehen.« Ein Nicken Richtung Garvey genügte und seine rechte Hand trat von hinten an die beiden heran. Breitbeinig – wie ein Ladendetektiv, der zwei Diebe an der Flucht hindern wollte – baute er sich auf.

»Wie auch immer es war. Nun haben wir ein Problem«, sagte Cyrus und schlenderte hinter den Schreibtisch. »Oder vielmehr: ihr habt ein Problem. Denn egal, ob tollkühn oder einfach nur unfähig – in beiden Fällen wärt ihr nicht weiter von Nutzen für mich.« Langsam ließ er sich in seinen Bürostuhl sinken. »Warum sollte ich Versager wie euch weiterhin in meine Dienste stellen? Nennt mir einen Grund!« 

Der Kleinere blickte auf die Rauchschwaden, die aus dem Aschehaufen zu seinen Füßen empor schwelten, während der Große mit kreidebleichem Gesicht an die Decke starrte. 

»Der Boss hat euch was gefragt«, brummte Garvey in ihrem Nacken. 

»Ich schwöre, wir hatten keine Ahnung«, rief der Kleine mit lispelnder Stimme. »Oogan hat uns reingelegt. Aber wir tun alles, Boss! Alles, um das wieder gerade zu rücken.« Der Große nickte eifrig, wagte jedoch nicht, den Blick von der Zimmerdecke zu nehmen.

»Erzählt mir noch einmal, wie das Ganze abgelaufen ist.« Cyrus hob den abgebrochenen Stoßzahn vom Schreibtisch auf, den Oogan ihm als Beute präsentiert hatte, drehte ihn in seinen Händen und betrachtete die geschnitzten Verzierungen darauf. Mit dem Finger wischte er den Sumpfdreck vom Elfenbein und glaubte, die Umrisse eines Siegels zu erkennen, in dessen Mitte eine Waage eingraviert war. »Wie konnte er diese Nummer abziehen, wenn ihr die ganze Zeit bei ihm wart?«

Der Kleine warf seinem Kompagnon einen kurzen Blick zu.

Das nervöse Zucken in seinen Augen war verräterisch. »Ihr wart doch die ganze Zeit zusammen, richtig?«, hakte Cyrus nach.

»Nun ja, im Prinzip schon«, antwortete der Kleine.

»Was soll das heißen?«

»Wir sind zusammen nach Capalus. Wir haben gemeinsam die Höhle ausfindig gemacht. Aber Oogan ist alleine rein. Wir sollten draußen Wache halten.«

»Und ihr habt euch nichts dabei gedacht?«

»Er hat behauptet, dass die Order von oben kommt.« 

»Wie lange war er weg?« Cyrus lehnte sich vor und stützte sich auf seine Ellbogen. Als die Antwort auf sich warten ließ, schlug er mit der flachen Hand auf die Tischplatte. »Wie lange?«

»Nur ganz kurz«, sagte der Kleine, und es klang, als würde er die Wörter aushusten. »Deshalb haben wir uns nichts dabei gedacht. Er war sofort wieder zurück und hatte das Artefakt dabei.«

»Nur, dass dieses Teil hier – verdammt noch mal – nicht das Artefakt ist.« Wie eine Waffe hielt Cyrus das riesige Zahnfragment drohend in der Luft, nur um es kurz darauf gegen die Tischkante zu schlagen und damit in tausende kleine Stücke zu zerbrechen. »Es ist nutzlos. Eine billige Kopie.«

»Es muss ausgetauscht worden sein«, stotterte der Kleine. »Bevor wir …«

Cyrus deutete ihm zu schweigen, denn zwischen den zerbrochenen Resten des gefälschten Artefakts hatte er eine Schriftrolle entdeckt, gerade einmal so groß wie sein kleiner Finger. Er nahm das Papier und faltete es auseinander. 

Es waren nur sieben Worte, doch sie genügten, um seinen Puls so in die Höhe zu treiben, dass er in seinen Schläfen pochte. Wütend knüllte er das Papier zusammen und ließ es auf den Tisch fallen. »Die Koordinaten! Wie lauten die Koordinaten?« 

Er griff nach dem Orbis-Projektor im Regal, öffnete ihn per Knopfdruck und ließ ihn los. Wie ein Miniatur-Ufo schwebte die Projektionsscheibe in der Luft und surrte leise vor sich hin, während sich nach und nach das Hologramm Pandaemonias zu einem tornado-artigen Wirbel aufbaute.    

Die neun Kreise drehten sich – den Rädchen eines Uhrwerks gleich – jeder in seine eigene Richtung, jeder in seinem eigenen Tempo. Mit zwei Fingern wählte Cyrus den sechsten Kreis, separierte ihn vom Rest und vergrößerte ihn, sodass er als Karte lesbar war. Er brauchte einen Moment, bis er die Koordinaten in seiner Schublade gefunden und mit dem Hologramm abgeglichen hatte. Er markierte den vermeintlichen Fundort des Artefakts und winkte die beiden Angeklagten herbei. »Ist das der Ort, an dem ihr mit Oogan gesucht habt?«

»Schwer zu sagen, Boss.« Der Kleine beugte sich über die Projektion. »Es sieht dort alles so gleich aus. Sumpf, Morast, Sumpf und noch mehr Morast.«

»Da war kein Wald«, sagte der Große plötzlich.

»Was sagst du?« Cyrus runzelte die Stirn.

»Da war kein Wald, wo wir gesucht haben.« Er deutete auf die markierte Stelle. »Laut Karte müsste in der Nähe Wald sein.«

»Du hast Recht.« Der Kleine nickte. »Er hat uns an einen völlig falschen Ort geführt.«

»Und ich weiß auch schon, wer ihn dazu angestiftet hat.« Hektisch schob Cyrus den sechsten Kreis wieder zurück zu den anderen und schloss den Orbis-Projektor. Die fragenden Gesichter ignorierte er. »Garvey, schnapp dir die zwei und stell sie unserem Freund Tiphon vor.« 

Garvey packte die Männer am Nacken und wollte sie gerade aus dem Zimmer führen, als die Tür aufging und Lucinda erschien. 

Sie schaffte nur einen einzigen Schritt hinein, bevor sie irritiert stehen blieb, die Nase rümpfte und nach dem Türrahmen griff, als würde sie fürchten, jeden Moment in Ohnmacht zu fallen. »Was riecht hier so fürchterlich?«

Cyrus legte den Projektor zurück ins Regal und ließ seinen Blick über die Sammlung seltener Artefakte schweifen, die er sich über die Jahre aufgebaut hatte. »Der Gestank von Lügen und Verrat.«