1 Kinder der Sonne

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Draußen vor der Tür hielt Stanford ihr die Hand zum High Five entgegen und Orla spürte den Impuls, einzuschlagen, doch gerade als sie ihre Hand gegen jede Vernunft heben wollte, sprang Doyle dazwischen, als würde er sich in die Schusslinie werfen, um sie vor einer Kugel zu retten und schlug für sie ein.

»Hat sie ihn flambiert?«, fragte er Stanford, bevor er sich direkt an Orla wandte. »Hast du ihn flambiert?«

»Auf kleiner Flamme, langsam geröstet«, antwortete sie und lächelte müde.

»Was hast du ihm denn da vorgelegt?«, fragte Stanford. »Der ist ja schneller eingeknickt als ein Grashalm.«

»Ehrlich gesagt, war das alles vor kurzem noch ein Schuss ins Blaue«, sagte Orla. »Immer wenn Mason zu Besuch in der Gemeinde war, kam er mit diesem protzigen Schlitten vorgefahren. Er trug nur Maßanzüge und mir ist seine Luxusuhr aufgefallen. Hässliches Ding, aber ohne Frage teuer. Also hab ich auf der Fahrt hierher mit unseren IT-Leuten telefoniert und sie gebeten, seine Bankgeschäfte zu überprüfen. Et voilà!«

»Er hat Geld veruntreut?«

»Er hat immer mal wieder kleinere Summen auf ein Extra-Konto überwiesen«, antwortete Orla. »Gerade so viel, dass es nicht auffällt. Die Daten decken sich mit den Tagen, an denen er Grogon besucht hat.«

»Da kann in fünf Monaten aber nicht viel zusammengekommen sein«, sagte Stanford.

»Es hat sich herausgestellt, dass Mason schon lange vor den ›Kindern der Sonne‹ für Grogon gearbeitet hat«, sagte Orla. »Offenbar hat der ihm damals bereits kurz nach seiner Flucht das Geld der ›Jünger‹ anvertraut.«

Stanford blickte durch die Scheibe in den Verhörraum. »An seiner Stelle würde ich mir auch ins Hemd machen. Wenn der Seelenfresser mitbekommt, dass er mit seinen gierigen Fingern am Schatz war, ist er dran.«

»Besprichst du mit ihm die Details?« Orla überreichte ihm die Unterlagen. »Wie das Ganze ablaufen wird. Was er sagen soll, was lieber nicht.«

»Er bekommt das volle Briefing«, sagte Stanford. »Wann willst du den ersten Kontaktversuch starten?«

»So schnell wie möglich«, antwortete Orla. »Ich will nur kurz hoch zum Chief und mir grünes Licht holen.«

»Das trifft sich gut«, mischte sich Doyle in das Gespräch ein. »Der sucht schon dringend nach dir.« Seine Miene verunsicherte Orla. So schaute er nur, wenn er sie warnen wollte. Als wäre etwas angebrannt und nur gerade so unter Kontrolle. Kein Grund zur Panik, aber ein wenig Sorge wäre angebracht.

»Und wie klang er?«, fragte sie ihn.

»In Teelaune scheint er nicht unbedingt zu sein«, Doyle verzog das Gesicht noch mehr, besann sich aber sogleich und versuchte sich an einem optimistischen Lächeln. »Vermutlich will er nur deine Einschätzung der Lage und gemeinsam die Optionen ausloten.«

Orla seufzte. »Oder er braucht jemanden, den er anschreien kann.«