»Ich glaube, meine Mitbewohnerin hat ein Verhältnis mit Cyrus Kingsley.«
»Ach, wirklich?« Doyle trat aus der Wäschekammer und zupfte sich die Dienstbotenuniform an den Schultern zurecht. »Die junge Dame, die mich den Abfluss hinunter spülen wollte?«
»Kannst du es ihr verübeln?«, sagte Orla. »Warum musstest du dich auch ausgerechnet in eine Spinne verwandeln?«
»Hm, ich weiß nicht, Mo. Weil es schnell gehen musste und ein Orang Utan in eurem Badezimmer aufgefallen wäre?«
»Und deshalb treffen wir uns ab jetzt auch immer hier unten«, sagte Orla, nahm eine Ladung Handtücher aus einem der Trockner und drückte sie Doyle zur Tarnung in die Arme.
Während ihr Partner sich brav daran machte, die Frotteetücher mit der gelähmten Hand auf dem Tisch zu fixieren und mit der anderen zusammenzulegen, schlich sie ans Fenster und warf einen Blick hinaus, um nach den Kollegen zu sehen, die gerade in der Pause waren. Auch wenn sie hier unten zwischen den Wäschebergen nicht weiter auffielen, da niemand genau wusste, wer gerade Dienst hatte und wer nicht, wollte sie neugierige Blicke möglichst vermeiden.
»Meinst du, sie könnte nützlich sein?«, hörte sie Doyle aus dem Hintergrund fragen.
»Wer? Nell? Keine Ahnung, was da genau läuft. Ich werde sie auf jeden Fall im Auge behalten.«
»Wenn wir es richtig anstellen, könnte sie bestimmt ein wertvolles Asset werden.«
Orla bedachte Doyle mit einem ernsten Blick. »Oder sie könnte so enden wie der letzte Informant von Millburn.«
»Wer wird denn gleich den Teufel an die Wand nageln«, erwiderte Doyle. »Das war eine Verkettung unglücklicher Umstände. Außerdem hatte er weder dich noch mich an seiner Seite.«
Während ihr Partner munter Wäsche faltete, dachte Orla an Cyrus. An den Geruch von verbranntem Fleisch in seinem Büro und an die ekelerregende Gleichgültigkeit gegenüber seiner Tat. Wenn die Sache schief ging, würde es hässlich werden. Jede Faser ihres Körper sträubte sich dagegen, Nell mit hineinzuziehen.
»Wie bist du denn eigentlich auf diesen Ort gekommen?«, fragte Doyle und riss Orla aus ihren Gedanken.
»Welchen Ort?«
»Die Wäscherei.«
»Ach, weißt du, als Springer hüpfe ich in den ersten Wochen von Station zu Station.« Sie wich seinem Blick aus. Von ihrer kurzen Verbannung in den Untergrund und den kontroversen Gründen dafür musste die APA nichts erfahren. »Und ich fand die Räumlichkeiten einfach perfekt. Fernab vom Trubel, wenig Publikumsverkehr und es liegen immer ein paar frische Klamotten für dich bereit.«
Doyle schnupperte am Ärmel seiner Uniform und rümpfte die Nase. »Mmmhhh, der Geruch von jahrzehntelanger Ausbeutung.«
»Vielleicht sollte ich eine Gewerkschaft gründen«, antwortete Orla und schnappte sich einen eigenen Haufen Handtücher. »Wobei mieser Lohn nicht unbedingt meine Hauptkritik wäre. Die Kingsleys zahlen sogar recht großzügig.«
»Loyalität ist eben teuer«, antwortete Doyle.
»Gerade wenn man so viel zu verbergen hat wie unsere Königsfamilie«, pflichtete Orla ihm bei.
»Apropos Königsfamilie – hast du denn neues Futter für mich?«
»Ich habe ein paar Krümel gesammelt und in Form gepresst«, sagte Orla und wischte nach kurzer Überlegung den Gedanken beiseite, von dem Warlock und ihrem Deal zu erzählen. Dass sie ihm bei seinen Experimenten half, wann immer sich die Gelegenheit bot und er sich im Gegenzug um die Taube kümmerte, die nun ganz offiziell Pixie hieß, würde vorerst ihr Geheimnis bleiben. Wie hilfreich solche Abweichungen vom eigentlichen Plan waren, würde sich erst später zeigen. Bis dahin behielt sie diese Informationen lieber für sich – aus Angst, einen Platzverweis zu bekommen, bevor sie richtig ins Spiel einsteigen konnte. Relevante Informationen gab es auch so genug und der aufwendig erstellte Grundriss des Hauses sollte ausreichen, um Doyle zufriedenzustellen.
»Was für ein Glück, dass ich als Kind für mein Leben gerne Schatzkarten gebastelt habe«, sagte Orla und warf einen prüfenden Blick durch den Raum, bevor sie ihre selbstgezeichnete Karte aus der Kitteltasche nahm und auseinanderfaltete.
Doyle schob die Wäsche beiseite und lehnte sich vor, während sie das Stück Papier vor ihm ausbreitete.
»Ich hab mich ausgiebig umgesehen und die wichtigsten Punkte lokalisiert.« Sie deutete auf die roten Markierungen, während die Trockner um sie herum den trommelnden Soundtrack ihres ganz eigenen Heist-Movies lieferten. »Beide Büros sind mit speziellen ID-Schlössern gesichert. Neueste Technik natürlich! Ohne Fingerscan läuft da nichts. Außerdem gibt es Kameras. Alles sehr schwierig. Aber …« Sie tippte auf die skizzierte Bibliothek und lächelte. »… ich kann versuchen, über die nahe gelegenen Räume heranzukommen.«
»Und dann?«
»Lass ich die NanoBugs auf sie los. Es gibt einen Lüftungsschacht, der die Bibliothek und Lucinda Kingsleys Büro miteinander verbindet.« Ihr Finger zeichnete den möglichen Laufweg nach. »Wir schicken unseren kleinen Freund auf die Jagd und warten ab, was er aufschnappt.«
»Nicht optimal.« Doyle runzelte die Stirn. »Aber besser als gar keine Informationen, denke ich.«
»Das Büro von Cyrus Kingsley ist schwieriger zu verwanzen, aber ich lass mir etwas einfallen. Wenn Blake grünes Licht gibt, kann ich es auch direkt versuchen, über die …«.
»Deine Order lautet, unter dem Radar zu bleiben.« Ein Blick in Doyles Gesicht genügte, um zu verstehen, dass Widerspruch zwecklos war. An diesem frühen Punkt der Operation würde Orla für derlei Wagnisse keine Mehrheit bekommen.
Sie räusperte sich, um den Ärger über die verbale Grätsche hinunterzuschlucken. »Ich werde das Fest nutzen, um die Wanze in der Bibliothek zu platzieren. Eine bessere Ablenkung kann ich mir gar nicht wünschen.«
»Was ist eigentlich mit der Gästeliste für den Abend?«
»Die sollte kein Problem sein«, antwortete Orla, obwohl sie sich darüber noch keine Gedanken gemacht hatte. »Da findet sich schon eine Möglichkeit. Zur Not gehe ich alle Mäntel und Taschen in der Garderobe persönlich durch.«
»Daran hab ich keinen Zweifel«, sagte Doyle und es klang wie so oft nach einer Mischung aus Anerkennung und Sorge. »Brauchst du sonst noch irgendetwas von uns für deine Unternehmungen?«
»Sag Garrett und Jones, dass weitere Bugs von Nutzen sein könnten. Nach den Büros werde ich mich vermutlich um die Privatgemächer kümmern.«
»Dieser Bereich?« Mit dem Finger zeigte Doyle auf eine der roten Markierungen im zweiten Stock.
»Ja, das ist ein mögliches Zimmer. Allerdings gehört es nicht Cyrus, sondern dem Bruder.
»Samael Kingsley? Ich dachte, der sei nicht von Bedeutung.«
»Ich überlege, ihn in die Ermittlungen einzubeziehen.«
»Warum?« Doyles Stirn zierten erneute Sorgenfalten.
»Ich weiß nicht, ich hab da so ein Gefühl«, sagte Orla unbeirrt. »Er scheint stärker involviert zu sein als wir vermutet haben.«
»Okay, ich werde das an Blake weiterleiten.« Warum klang seine Stimme so seltsam monoton? Fast schon abweisend. »Trotzdem solltest du dich an den Plan halten und auf die eigentlichen Zielpersonen konzentrieren.«
»Keine Sorge. Ich bin an beiden dran.« Orla versuchte, die Mücke nicht zum Elefanten heranwachsen zu lassen, doch es ärgerte sie, dass er ihr nicht einfach vertraute. Von den anderen war sie Ignoranz gewohnt. Doch Doyle kannte ihr Gespür jenseits der ausgetretenen Pfade. Wenn sie vom Plan abwich, gab es dafür einen guten Grund.
Während ihr Partner den Grundriss für die APA scannte und digitalisierte, dachte Orla an das Gespräch zwischen Lucinda und Samael Kingsley. Normalerweise hätte sie ihm die Namen zur Recherche gegeben, die sie bei ihrem Lauschangriff in der Bibliothek aufgeschnappt hatte, doch plötzlich kam sie sich albern vor. »Habt ihr denn inzwischen Näheres zu Hildesheimers möglichem Doppelgänger herausfinden können?«, fragte sie, um das Thema zu wechseln.
»Wir konnten den Zeitraum des Verschwindens etwas eingrenzen.« Es schien, als hätte Doyle seinen Affront von eben gar nicht bemerkt. »Hildesheimer hatte ein paar Wochen vorher einen kurzen Klinikaufenthalt. Routineeingriff. Laut Krankenakten besteht kein Zweifel, dass er es war. Für die Zeit danach allerdings …«
»… gibt es weder Zeugen noch Belege.« Orla nickte und faltete ihre Karte wieder zusammen. »Was ist mit dem Personal? Jemand wie er wird doch sicher Angestellte gehabt haben.«
»Er hat einen Fahrer und eine Haushaltshilfe beschäftigt, aber keine ihrer Aussagen waren hilfreich.«
»Security? Kameras? Gibt es verwertbare Aufnahmen?«
»Wir haben die Bänder gesichtet, aber nichts Verdächtiges gefunden.«
»Keine Besuche? Keine fragwürdigen Aktivitäten in der Nachbarschaft?«
»Nichts, was ihn mit den Kingsleys verbindet«, antwortete Doyle. »Ab dem Zeitpunkt, als er das Krankenhaus verließ, haben wir keine zuverlässigen Informationen mehr. Theoretisch kann sich der falsche Hildesheimer schon seit Wochen beim echten eingenistet haben.«
»Aber was hat sich geändert?«, murmelte Orla. Sie brauchte einen Moment, um den Gedanken zu greifen, der ihr durch den Kopf gehuscht war. »Angenommen, er war schon Wochen vor dem Verschwinden nicht mehr er selbst und angenommen, die Kingsleys sind tatsächlich involviert – warum lassen sie das Ganze nicht einfach weiterlaufen?«
»Der Deal war abgeschlossen. Sie hatten keine Verwendung mehr für ihn.«
»Dann hätten sie die Prozedur beschleunigen können und die Verträge viel früher von der Marionette unterschreiben lassen. Warum warten?«
»Stimmt, das passt nicht zusammen«, sagte Doyle.
Die Trockner rumpelten träge vor sich hin, während Orla auf der weißen Fläche des Tisches die Antwort zu finden versuchte. »Sie müssen ihn kurz vor der Unterzeichnung ausgetauscht haben«, sagte sie schließlich. »Irgendetwas muss passiert sein. Etwas Unvorhergesehenes. Vielleicht hat es sich Hildesheimer anders überlegt, womöglich wollte er das Geschäft platzen lassen.«
»Und ihnen blieb nur …«
Ein schrilles Lachen ließ die beiden aufhorchen. Einige Dienstmädchen waren von ihrer Pause zurück und bedachten sie mit neugierigen Blicken. Hastig ließ Orla die Karte in ihrem Kittel verschwinden, während Doyle der Gruppe ein plumpes Lächeln entgegenwarf.
»Mir nach«, raunte Orla ihm zu, schnappte sich einen Stapel Handtücher und lief mit gesenktem Kopf Richtung Wäschekammer. Ein Blick über die Schulter verriet jedoch, dass Doyle ihre Fluchtanweisungen entweder nicht verstanden hatte oder bewusst ignorierte, denn er stand wie angewurzelt an derselben Stelle – dasselbe merkwürdige Grinsen im Gesicht. Als wäre er beim Flirten spontan eingefroren.
Genervt brachte Orla ihre Handtücher in die Kammer, bevor sie sich einen neuen Stapel vom Tisch besorgte und Doyle dabei unsanft mit der Schulter anrempelte. »Erzähl du mir noch einmal etwas von unter dem Radar bleiben«, raunte sie ihn an und rollte mit den Augen – in absoluter Gewissheit, dass sie der erste Mensch der Welt war, bei dem man das sogar hören konnte.
»Sei freundlich stets zu jedermann, dann sieht dich jeder freundlich an«, murmelte Doyle in einer Art Singsang vor sich hin, während er ihr diesmal wenigstens folgte.
Orla ignorierte den Impuls, irgendetwas mit „Gibst du nicht endlich Ruhe“ zu antworten, auch weil ihr so spontan kein passender Reim dazu einfiel. »Okay, Zeit zum Aufbruch«, sagte sie und schob ihren Partner in die Wäschekammer.
»Wir sehen uns nach dem Frühlingsball?«, fragte Doyle, während er seinen Stapel Handtücher in das Regal räumte. »Du besorgst die Gästeliste, kümmerst dich um das Verwanzen der Büros und fühlst deiner Mitbewohnerin auf den Zahn.«
»Nicht unbedingt in der Reihenfolge, … aber ja«, antwortete Orla und reichte ihm ihre Handtücher.
»Keine Alleingänge!«, sagte Doyle.
Genervt zwang sich Orla zu einem Nicken.
»Versprich es. Versprich, dass du den Kopf unten hältst und dich den Kingsleys nur so weit wie nötig näherst.«
»Du kennst mich.«
»Eben …«
»Also gut.« Orla seufzte und hielt ihre gekreuzten Finger hoch. »Ich verspreche, dass sich Orlanna Davis brav im Hintergrund halten wird.«
»Und Agent Mayfield …?«
Zur Antwort warf Orla Doyle einen Handkuss zu und ließ die Tür schwungvoll ins Schloss fallen.
Zur Sicherheit sah sie sich um und prüfte, ob jemand sie bei dem seltsamen Kammerschauspiel beobachtet hatte. Doch Doyles unnötiger Charmeoffensive zum Trotz schien niemand Notiz von ihnen genommen zu haben. Wie fleißige Arbeiterbienen verrichteten die Männer und Frauen der Wäscheschicht ihren Dienst zwischen den Maschinen. Dieser Ort war zu laut, zu verwinkelt und zu routiniert in seiner Betriebsamkeit, als dass man hier auffallen würde. Dazu hätten sie vermutlich Clownskostüme tragen oder auf einem Elefanten hereinreiten müssen.
Als Orla die Tür der Kammer wieder öffnete, tippelte ihr ein schwarzer Kater entgegen. Er drehte eine kurze Runde um ihre Beine, bevor er auf den Vorsprung eines Kellerfensters sprang und durch einen Spalt in den Garten verschwand.
Nachdenklich betrachtete Orla die Dienstboten-Uniform am Boden.
Irgendetwas war anders.
Ihre Begegnung mit Doyle hatte nicht das vertraute Selbstverständnis früherer Treffen gehabt. Etwas Seltsames hatte sich untergemischt. Als hätte sich eine Zutat ihres Lieblingsrezeptes geändert – gerade so viel, um den Geschmack eine winzige Nuance zu verfälschen, aber nicht stark genug, um das Problem herauszuschmecken.
Orla hob die Uniform auf und stopfte sie unauffällig in einen der Wäschekörbe. Sie wollte keiner dieser Menschen sein, die ständig nach dem Haar in der Suppe suchten, schon gar nicht, wenn es um ihren besten Freund ging, also begrub sie das mulmige Gefühl unter dem Berg aussortierter Kleidung, bevor sie Richtung Ausgang schlich.