Ein Blick in die Küche verriet Orla, dass der Zoff, den sie angezettelt hatte, schon in vollem Gange war. Zwischen dem Scheppern der Töpfe und dem Klappern des Geschirrs, dem Brutzeln, dem Klopfen und dem Sprudeln war nicht zu verstehen, was Partyplaner Percy der Küchenchefin alles an den Kopf warf. Es schien jedoch deftig zu sein, denn die Frau schimpfte mit verbissener Mine zurück. Orla hatte gehofft, dass Percys aufbrausendes Wesen ihn davon abhalten würde, wortlos abzuziehen, sobald sich herausstellte, dass es gar kein Problem in der Küche gab. Sie hatte gepokert und antizipiert, dass er seinen Frust über die vertane Zeit an irgendjemandem auslassen würde. Genau diese Tirade wollte sie für sich nutzen. Viel Spielraum blieb ihr nicht, denn jeden Moment würde ihm sicher einfallen, dass er Wichtigeres zu tun hatte, als sich in überflüssige Wortgefechte zu verstricken.
Eilig bewaffnete sich mit ein paar dreckigen Tellern, in denen sich noch Suppenreste befanden und marschierte auf die beiden Streithähne zu. Sie erwischte Percy gerade rechtzeitig im Gehen und rammte ihn unsanft mit ihrer Schulter, nur um im nächsten Moment absichtlich die Teller vor seine Füße fallen zu lassen.
»Tut mir so leid, Sir«, stammelte sie mit gesenktem Kopf und freute sich darüber, dass die blau-roten Suppenspritzer nicht nur seine Schuhe, sondern auch den unteren Saum seiner Hose zierten.
»Kannst du nicht aufpassen?«, rief er verärgert. »Sieh, was du angerichtet hast!«
Während Percys Flüche auf Orla niederprasselten, sammelte sie zum Alibi ein paar Scherben ein, ließ jedoch das Tablet in seiner Hand nicht aus den Augen. Sie musste ihn irgendwie dazu bekommen, es beiseitezulegen. Kurzerhand griff sie nach einem Handtuch und tupfte unbeholfen sein Schienbein ab.
»Lass das!« Er trat einen Schritt zurück und nahm ihr mit einer wirschen Handbewegung das Tuch ab, um sich selbst dem Malheur zu widmen. Als er das Tablet endlich auf einen der Servicewagen legte, um die Hände frei zu haben, und sich ein Waschbecken zeigen ließ, ergriff Orla ihre Chance. In Sekundenschnelle nahm sie ihre Schürze ab, bedeckte das Tablet damit und schob den Servicewagen heimlich aus seinem Blickfeld.
»Bin ich nur von Dilettanten umgeben?«, hörte sie ihn schimpfen, während sie den Datenleser aktivierte und neben das Tablet unter die Schürze legte. Je nach Datenmenge würde der Scanvorgang ein paar Minuten dauern. Minuten, die sie nicht hatte, denn das Suppendesaster war vielmehr ein Desasterchen, das mit ein wenig Wasser und Spülmittel schnell beseitigt werden konnte. Nervös behielt sie Percy im Auge. Immerhin schien seine Perfektion für sie zu arbeiten. Penibel suchte er seine Hose nach Flecken ab und stellte sich dafür extra in besseres Licht, um ja nichts zu übersehen. An seinem zufriedenen Nicken erkannte sie, dass es Zeit war, die Aktion zu beenden, egal wie weit die Daten schon gelesen worden waren. Sie drehte sich so, dass sie ihm die Sicht auf den Servicewagen versperrte, band die Schürze wieder um und ließ den Datenstick in ihrer Tasche verschwinden.
»Wo verdammt noch mal ist mein …?« Mit ausgebreiteten Armen drehte sich Percy im Kreis und suchte die Küche ab. Orla schlich hinter seinem Rücken zurück zum Tatort ihres Zusammenstoßes, um die restlichen Scherben einzusammeln und die Suppenkleckse vom Boden zu wischen. Doch ein merkwürdiges Geräusch ließ sie aufblicken.
Percy stand mit einem Kochtopf bewaffnet in der Mitte des Raumes und trommelte mit einem großen Löffel auf ihn ein. »Niemand rührt sich«, rief er verärgert. »Nicht bis ich mein Tablet gefunden habe. Seht euch um. Es muss hier irgendwo liegen.«
Orla duckte sich weg und hoffte, dass jemand anderes das Tablet entdecken würde. Ihn selbst darauf hinzuweisen, war zu riskant. Seine Unfähigkeit, ihr Gesicht wiederzukennen, ließ sich sicher nicht beliebig ausnutzen. Als Percys Schritte näher kamen und seine frisch geputzten Schuhe schließlich vor ihr stehen blieben, befürchtete sie, ihr Glück bereits überstrapaziert zu haben und nun zur Rechenschaft gezogen zu werden.
»Ist es das hier?« Erleichtert vernahm sie die rettende Wortmeldung aus der Nähe des Servicewagens.
»Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass hier mehrere Tablets herumliegen?« Die Schuhe verschwanden aus ihrem Blickfeld. »Natürlich ist das meins.«
Selten hatte Orla jemanden erlebt, der so viele verbale Ohrfeigen in so kurzer Zeit verteilte. Percy fuchtelte mit dem Tablet in der Luft, doch niemand nahm mehr Notiz von ihm. Der Küchenlärm schwoll in Sekunden zu einer Welle an, die ihn rauszuspülen versuchte. Was auch immer er vor sich hin schimpfte – es ging in geschäftiger Ignoranz unter. Also zog er mit stampfenden Schritten von dannen.