19 Vom Festhalten und Loslassen

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Cyrus starrte in die Dunkelheit, die nur von einem schwachen Lichtstrahl aus dem Flur durchschnitten wurde. Die Bibliothek gehörte zu den Räumen, bei denen er regelmäßig vergaß, dass sie existierten, obwohl sie sich in unmittelbarer Nähe seines Büros befand. Bücher waren für ihn nicht von Interesse. Er war ein Mann des gesprochenen Wortes, nicht des gelesenen. Außerdem fehlte ihm die Zeit, sich den Gedanken anderer zu widmen, zumal ein Teil dieser sogenannten Schriftstellerinnen und Schriftsteller nur simple Menschen waren. Die Idee, ausgerechnet zwischen zwei Buchdeckeln neue Erkenntnisse oder Inspiration zu finden, erschien ihm daher ausgesprochen grotesk. 

Wäre es nach ihm gegangen, hätte er diesen Ort längst in etwas Zweckmäßigeres – wie einen Konferenzraum – verwandelt, doch gegen die Sentimentalität seiner Mutter war nicht anzukommen. Lucinda wurde nicht müde, die Bibliothek als ihren letzten Rückzugsort und einzige Ruheoase zu verteidigen und tatsächlich lag in diesem Moment eine geradezu gespenstische Stille über den Regalen, als würde alles, was von draußen eindrang – ob Stimmen, Lachen oder Musik – von den Büchern verschluckt werden. 

Andere hätten die Ruhe genutzt, um einmal tief durchzuatmen, bevor sie in den lauten Teil von Thornwood zurückkehrten, doch auf Cyrus hatte die Stille eine beklemmende Wirkung. Er mochte es nicht, allein mit sich und seinen Gedanken zu sein. Ruhe war etwas Zwielichtiges, eine Anomalie, die Unheil versprach. Ihr war nicht zu trauen. 

Bevor die Stille in seinen Kopf eindringen konnte, bahnte er sich seinen Weg hin zum Licht nach draußen. Wäre die offene Tür nicht so verdächtig gewesen, hätte er dieses Staubmuseum einfach ignorieren können, so wie er es immer tat. Es wunderte ihn, dass Lucinda ihr Refugium unverschlossen und damit für jedermann zugänglich ließ, während Fremde im Haus waren. Bei der nächsten Diskussion um ihren angeblich so heiligen Ort würde er ihr diese Achtlosigkeit genüsslich unter die Nase reiben. 

Cyrus hatte keine Geduld für den Leichtsinn anderer. Fehler passierten immer wieder, doch als Resultat von Gedankenlosigkeit waren sie inakzeptabel. Nichts ärgerte ihn mehr als eine Suppe auszulöffeln, die dilettantisch gewürzt worden war. Die Nachlässigkeit von Hildesheimers Leuten bei der Entsorgung der Chemikalien hatte das Problem verursacht und die Nachlässigkeit seiner eigenen Leute bei der Prüfung der Geschäftspartner hatten es letztendlich zu seinem Problem gemacht. Einmal mehr zeigte sich, dass es unklug war, sich auf andere zu verlassen. Am Ende stand man immer alleine da. 

Wenn er Hildesheimers lästiges Erbe loswerden wollte, musste er den Müll selbst rausbringen.