17 Feier und Pflicht

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»Hierher!« Der Partyplaner mit dem Paillettenanzug winkte hektisch in Orlas Richtung. »Brauchst du eine Extraeinladung?« Sein roter Kopf und das heisere Keifen erinnerten an einen Truthahn, der aufgeplustert vor sich hin kollerte. Und es schien zumindest bei Orlas Kollegen zu funktionieren. Eifrig folgten die vielen Helfer des Abends seinen Befehlen, brachten nahezu lautlos das Essen in den Saal und die leeren Teller wieder hinaus. Leichtfüßig wie Balletttänzer lieferten sie das Geschirr bei Orla auf dem dafür vorgesehenen Servierwagen ab. 

Mit jedem Teller, der sich vor ihr stapelte, bedauerte sie ein Stück mehr, dass sie keinen Platz im Saal zugewiesen bekommen hatte. Sie beneidete Nell, die als Servicekraft für Sonderwünsche in Rufweite der Gäste platziert worden war. Dort, wo Orla stand, konnte sie nur einen kurzen Blick durch die Tür erhaschen und außer ein paar Hinterköpfen nichts erkennen, das ihre Neugier ausreichend gestillt hätte. Zu gerne wäre sie das Mäuschen im Saal gewesen, dass unbemerkt durch die Reihen huschte und die Gesellschaft aus nächster Nähe begutachten durfte – wer mit wem sprach, wer wen ignorierte, wer etwas Wichtiges zu erzählen hatte und wer sich lediglich wichtigmachte. Ihr blasses Bild von der Familie Kingsley und denjenigen, mit denen sie sich umgab, hätte mehr Farbe bekommen. Sie hätte die Namen auf den Platzkärtchen den Gesichtern zuordnen und aus der Art, wie sie sich in Gesellschaft gaben, ihre Schlüsse ziehen können. Das Gemurmel, das jedes Mal anschwoll, wenn jemand aus dem Saal kam, konnte ihr hingegen keine verwertbaren Informationen liefern. Die Feiernden blieben ein Rätsel – ein verschlossenes Buch, das unerreichbar weit oben im Regal stand.

Orla seufzte leise, während sie das dreckige Geschirr vor sich betrachtete. Dass sich ihr Interesse nicht ausschließlich mit der Mission begründen ließ, war etwas, das sie nur ungern zugab. Doch wenn sie ehrlich war, tauchte ein bestimmtes Gesicht immer wieder in der Menge auf, sobald sie an die Feiernden im Saal dachte. 

Sie fragte sich, ob Samael ins innere Asyl geflüchtet war und schweigend seine Suppe schlürfte – alles um sich herum ignorierend, mit dieser typischen kleinen Zornesfalte auf der Stirn. Wie würde er reagieren, wenn er sie im Saal entdeckte? Würde er ihr wissend zunicken oder würde er so tun, als kannten sie sich nicht? 

»Husch, husch, ab in die Küche mit dir!« Percy der Partyplaner fuchtelte mit seiner Hand vor Orlas Gesicht herum. »Es kann doch nicht sein, dass ich hier jeden einzelnen Schritt ansagen muss.« Er schrieb etwas in sein Tablet und wandte sich ab. 

Statt den Befehl auszuführen, blieb Orla noch einen Moment stehen, um ihn bei seinen Aktivitäten zu beobachten. Dieses ominöse Tablet schien der wichtigste Helfer des Partyplaners zu sein – wichtiger als die beiden persönlichen Assistenten, die er mitgebracht hatte. Das Ding klebte förmlich an seiner Hand und genau das machte es für Orla so interessant. Sie übergab den Geschirrwagen an einen ihrer Kollegen, der offenbar so im Ameisenmodus gefangen war, dass er dankbar nickte und ohne Einspruch Richtung Küche verschwand.

Mit den Fingern tastete sie nach dem Datenleser in ihrer Schürzentasche, bevor sie auf Percy zuging und ihm auf die Schulter tippte. »Es gibt ein Problem, Sir«, sagte sie und bemerkte, dass das böse Wort mit P offenbar die Gabe besaß, ein rotes Gesicht in ein weißes zu verwandeln. »Sie werden dringend in der Küche verlangt.«

Percy schnappte nach Luft wie ein Karpfen, der auf dem Trockenen lag.  »Was soll das heißen? Was ist …?« Er formte mit der Hand eine Art Schweigefuchs. »Ach, ich will es gar nicht hören.« Hektisch deutete er einem seiner Assistenten, die Stellung zu halten und stürmte los. »Ist es denn wirklich zu viel verlangt, dass jeder hier einfach mal seinen Job macht?«, rief er, während er die Hausangestellten, die ihm im Weg standen, zur Seite scheuchte. Mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht sah Orla dem schimpfenden Truthahn nach, bevor sie ihm auf leisen Sohlen in die Küche folgte.