17 Feier und Pflicht

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Cyrus schob den halb vollen Teller von sich und betrachtete die Reste seines Pilzrisottos, während er lustlos auf dem letzten Bissen Wachtelfleisch herumkaute. Das Klappern des Geschirrs um ihn herum ging ihm gehörig auf die Nerven, jeder Lacher von der anderen Seite des Tisches klang wie Hohn in seinen Ohren und die aggressive Banalität des Streichquartetts im Hintergrund ließ ihn fast aus der Haut fahren. Er blickte auf seine Hand, die krampfhaft die Gabel umklammerte, und stellte sich vor, wie es wäre, seinem Frust freien Lauf zu lassen.

Dass die Ratsältesten ein spezielles Gemüt besaßen, war kein Geheimnis. Die Last, die sie als oberstes Gremium behaupteten zu schultern, hatte sie zu einer Art Isolation verdammt, die selten Einmischung von außen zuließ. Dass er sich bei etwas Harmlosen wie einem Abendessen so jämmerlich an ihnen die Zähne ausbeißen würde, hatte er dennoch nicht kommen sehen. Ganz selbstverständlich war er davon ausgegangen, dass sich während des Essens die ein oder andere höfliche Plauderei ergeben würde, schließlich löffelte niemand bei solchen Anlässen stumm vor sich hin. Doch schon beim ersten Gang hatte sich gezeigt, dass die Ältesten es tatsächlich vorzogen zu schweigen, wenn sie nicht mit ihresgleichen reden durften. 

Lucindas Sitzordnung verstanden sie ganz offensichtlich als Affront. Das zeigten nicht zuletzt die Blicke, die sie Richtung Barnabas am Ende der Tafel warfen. Dass ein Ratsmitglied – einer der ihren – von Lucinda in die Ecke der Bedeutungslosigkeit verbannt worden war, quittierten sie mit finsteren Minen. Dass Barnabas sich dennoch genauso amüsierte wie Roderic und der übrige Rat, missfiel ihnen vermutlich noch mehr. Dieses Durchmischen mit Sterblichen schien sie regelrecht anzuwidern, wenn man ihren pikierten Gesichtern Glauben schenkte. 

Obwohl sie gleich neben ihm saß, hatte seine Mutter von all dem nichts bemerkt. Zu sehr war sie damit beschäftigt gewesen, die Kupplerin für ihren Lieblingssohn zu spielen. 

Cyrus wusste nicht, was ihn mehr ärgerte – die Ignoranz der Ratsältesten, die jeden seiner Annäherungsversuche geblockt hatten oder der Unverstand seiner Mutter, der ihn erst in diese Situation gebracht hatte. Auf einmal erschien ihm diese ganze Ratsanwärterschaft lächerlich. Warum einer Institution hinterher kriechen, die in ihrer rigiden Rückwärtsgewandtheit weder Antworten auf die Gegenwart hatte noch auf die Zukunft? Warum sollte er den Alten in die Bedeutungslosigkeit folgen?  

Während Cyrus seinen Blick von einem Ratsältesten zum nächsten wandern ließ, stellte er sich vor, wie sie einer nach dem anderen vorne über kippten und mit dem Gesicht im Essen liegen blieben. Genüsslich malte er sich aus, wie Lucinda die Gesichtszüge entgleisen und Panik unter den übrigen Gästen ausbrechen würde, weil sie befürchteten, die Nächsten zu sein. Wie das Chaos um ihn herum tobte, während er zum letzten Gang überging. Wie süß das Parfait in seinem Mund schmecken würde, während es langsam auf der Zunge schmolz. Doch da dies für den Moment bloße Fantasie bleiben würde, musste er sich mit den Bildern in seinem Kopf begnügen, um diese Farce eines Essens irgendwie durchzustehen.