5 Neue Wege

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Ein Klopfen unterbrach die beiden. Während sich die Tür unter Orlas neugierigem Blick wie in Zeitlupe öffnete, spürte sie die Aufregung in sich aufsprudeln. Ein Gefühl, das gar nicht so recht zu ihr passte. Die Zuteilung zu einem neuen Team hatte sie sonst eher gleichmütig angenommen, denn ihre Sorge galt immer in erster Linie dem Fall. Nicht denjenigen, die an ihm arbeiteten. Doch wenn sie eines gelernt hatte aus der Sache mit Fitzsimmons, dann das alles irgendwann ins Kippeln geriet, wenn man beim Aufbau Schrauben und Muttern wählte, die nicht zusammenpassten.

Als sie Garrett und Jones an der Tür stehen sah – albern winkend, als wären sie aus einem Monty Python Sketch gefallen – atmete sie erleichtert auf. Mit den beiden Technikern hatte sie schon einige Undercover-Missionen gemeistert und sie als loyale Teamkollegen schätzen gelernt. Genau wie Doyle hatten sie diese ansteckende Art, Probleme einfach mit ihrem Optimismus schmelzen zu lassen. Alles war lösbar, nichts galt als aussichtslos. Damit waren sie die perfekten Botschafter für einen Neuanfang. 

»Operation Dornenwald?«, sagte Garrett mit gesenkter Stimme und wartete wie ein Vampir darauf, hereingebeten zu werden.

»Operation was?« Orla sah die drei fragend an. 

»Ein Codewort, das ich mir mit den Jungs überlegt habe«, sagte Doyle, während er die beiden Kollegen heranwinkte.

»Wozu?«, fragte Orla.

»Jede gute Band braucht einen Namen« Jones formte mit der Hand zwei Teufelshörner.

»Jede schlechte aber auch«, konterte Garrett. »Was ich nur der Vollständigkeit halber erwähnt haben wollte. Denn argumentativ ist eine gewisse Trennschärfe von … « Er stockte mitten im Satz. »Okay, ich geh dann mal auf meinen Platz.«

Jones klopfte ihm brüderlich auf die Schulter. »Ich folge dir, damit du dich nicht verläufst«

»Und? Herr Kapellmeister?« Orla bedachte Doyle mit einem Lächeln. »Was spielen wir in dieser ominösen Band?« 

»Jazz-Metall natürlich.« 

»Mit Polka-Elementen?« 

»Und Schlagertexten.«

Liebend gerne hätte Orla noch geklärt, welches Instrument ihr zugeteilt werden würde. Die Jungs von der Technik waren die idealen Schlagzeuger, um die Dinge aus dem Hintergrund voranzutreiben. Doyle würde mit seinem Bassspiel als Kontaktmann alles wunderbar miteinander verbinden. Es stellte sich nur die Frage, ob man Orla nach all der Kritik die Leadgitarre zutraute oder ob sie sich mit einer Triangel am Bühnenrand zufriedengeben musste. 

Im Augenwinkel bemerkte sie das nächste Bandmitglied. Die junge Frau mit Pixie-Cut und auffälligen Ohrringen aus Holz hatte vermutlich eine ganze Weile an der Tür gewartet, denn man sah die Ungeduld förmlich durch ihren Körper zappeln. Energischer als nötig schüttelte sie Orlas Hand und stellte sich als Alyson vor. »Schön, dich endlich persönlich kennenzulernen«, sagte sie. Ihr übereifriger Blick war typisch für Absolventen, die frisch von der Akademie kamen, und Orla wusste aus eigener Erfahrung, dass es den ein oder anderen Bauchklatscher brauchen würde, um gelassener zu werden. Doch ihr Lächeln wirkte ehrlich und ihr Händedruck entschlossen und das genügte ihr fürs Erste. 

»Doyle hat mir schon viel von dir erzählt«, sagte Alyson.

»Glaub ihm kein Wort«, antwortete Orla, mehr an Doyle als an Alyson gerichtet. 

Als Letzter betrat Agent Blake den Raum und Orla glaubte für einen kurzen Moment, dass er sich in der Tür geirrt hatte. Nachdem ihr Ruf innerhalb der Abteilung so gelitten hatte, überraschte es sie, ausgerechnet ihm zugeteilt zu werden. Blake gehörte zu den »Drei Erben«, einer inoffiziellen Liste aussichtsreicher Kandidaten für die Nachfolge des Chiefs. Sein untrügliches Gespür als Ermittler hatte ihn innerhalb kürzester Zeit auf der Karriereleiter nach oben katapultiert. Doyle nannte ihn König Midas, denn egal, welchen Fall er auch in die Hände bekam – er verwandelte ihn stets in Gold.

»Ist das dein Ernst?«, murmelte sie Doyle zu, ohne ihn anzublicken.

»Du wolltest zurück in den Sattel, also hab ich dir den besten Steigbügel besorgt«, hörte sie ihn leise sagen.

»Agent Mayfield.« Blake beließ es bei einem Nicken und deutete allen, sich an den Konferenztisch zu setzen. Seine Zeit schien ihm lieb und teuer. Vermutlich war er jemand, der auf schnelle Resultate pochte und deshalb zu Ungeduld neigte. Orla fragte sich, wie er wohl sonst als Chef war. Mit dem akkurat gescheitelten Haar und dem strengen Blick wirkte er nicht gerade wie jemand, der sich gerne abseits der Regeln bewegte. Der Ring an seinem Finger verriet einen gewissen Wunsch nach Stabilität. Die beige Hose einen Hang, das Risiko zu meiden. Dieser Mann hatte keine Lust auf Überraschungen. Vermutlich würde er Orla an der kurzen Leine halten. Und sie konnte es ihm nicht einmal verübeln. Auch wenn sie bisher als Agentin weitgehend Narrenfreiheit genossen hatte, sah das seit dem Grogon-Debakel anders aus.

Nachdem alle Anwesenden ihre Plätze eingenommen hatten, schaltete Alyson den großen Bildschirm an der Wand ein und begann auf ein Zeichen von Agent Blake mit der Präsentation.

»Nun, ich weiß nicht, wie viel dir Doyle schon erzählt hat …« Sie räusperte sich und man merkte ihr an, dass sie noch nicht viele Meetings geleitet hatte. »Es geht um die Überwachung zweier Paraviduals der Kategorie Acht bis Zehn. Wir sind schon eine ganze Weile an ihnen dran. Doch irgendwie kommen wir gerade nicht weiter und Doyle meinte, du wärst genau die Richtige, um frischen Wind in die Ermittlungen zu bringen.«

»Wir haben bisher überwiegend auf dem Papier ermittelt«, sagte Agent Blake. Sein Blick deutete an, dass ihn Alysons Formulierung störte. Ein Midas schien es nicht zu mögen, wenn man von Sackgassen sprach. »Nun brauchen wir jemanden für die Feldarbeit.«

»Ich mach mir gerne die Hände schmutzig«, sagte Orla, doch sie wurde von Blake ignoriert.

Alyson nahm die Fernbedienung und sogleich erschienen auf dem Bildschirm zwei Gesichter: eine Frau mittleren Alters und ein etwas jüngerer Mann. Die Frau hatte langes schwarzes Haar und war – wie Orla neidvoll anerkennen musste – von außergewöhnlicher Schönheit. Ein makelloser Teint, volle Lippen und hohe Wangenknochen – sie sah aus, wie von einem Künstler erdacht und in perfekter Pinselführung verewigt.

»Lucinda Kingsley – das Familienoberhaupt des Kingsley-Clans«, stellte Alyson sie vor. 

Neben ihrem Aussehen war es vor allem der Blick der Frau, der Orla in ihren Bann zog: stolz und selbstbewusst und gleichzeitig sinnlich. Der Blick einer Frau, die wusste, was sie wollte und wie sie es bekam. 

»Sie war angeblich mal eine von den Guten«, sagte Doyle. »Sie treibt sich jedoch schon seit geraumer Zeit lieber mit den bösen Jungs herum – sowohl in dieser Welt als auch in der anderen. Niemand weiß genau, wie alt sie ist. Unsere Aufzeichnungen gehen aber Jahrhunderte zurück.«

»Es gibt zahlreiche Überlieferungen, die sie mit diversen Persönlichkeiten der Geschichte in Verbindung bringen«, ergänzte Alyson. »Künstler, Staatsmänner, ja sogar Könige.« In ihrer Stimme schwang fast so etwas wie Begeisterung mit. »Sie alle sollen ihr verfallen gewesen sein. Und nicht wenige davon hat sie wohl im wahrsten Sinne des Wortes um den Verstand gebracht.«

Jones tippte Garrett mit dem Ellenbogen an und raunte: »Ich hätte nichts dagegen, mich von ihr in den Wahnsinn treiben zu lassen.« Garrett brummte zustimmend, doch Agent Blake brachte die beiden zum Schweigen.

Orla war beeindruckt von der Effizienz seiner Mimik. Ein leichtes Anheben der linken Augenbraue und ein Zucken der die Mundwinkel hatten gereicht, um sie schuldbewusst verstummen zu lassen.

»Was uns zu Aamon Kingsley bringt«, sagte Alyson. »Einer der mächtigsten Dämonen, der diese Welt jemals heimgesucht hat.«

»Ihre schlechtere Hälfte sozusagen«, sagte Doyle und war sichtbar stolz auf seinen kleinen Scherz.

»Moment mal«, hakte Orla nach. »Wenn er so übermächtig ist, müsste ich dann nicht schon mal von ihm gehört haben?«

»Er ist seit längerer Zeit von der Bildfläche verschwunden«, sagte Alyson.

»Einfach so?«

Agent Blake beugte sich vor und verschränkte die Hände ineinander. »Niemand weiß, was passiert ist. Wir halten es aber für unwahrscheinlich, dass er unter den Lebenden weilt.«

»Wieso?«

»Jemand seines Kalibers kann sich nicht einfach so verstecken, nicht einmal in den finstersten Ecken Pandaemonias«, sagte Alyson. »Aamon war so etwas wie der Caligula des Dämonenreichs. Von allen gefürchtet, von vielen gehasst.« Eine gewisse Ehrfurcht lag in ihrer Stimme. Die Sorte, die sich oft mit Abscheu mischte. Vermutlich hatte sie während der Recherche so einiges gesehen, von dem sie hoffte, es schnell wieder zu vergessen.

»Keine Ahnung, wer uns von ihm erlöst hat«, sagte Doyle. »Wenn wir es wüssten, würden wir demjenigen einen Präsentkorb schicken.«

»Seit seinem Verschwinden ist es auf jeden Fall ruhiger geworden um die Familie«, sagte Alyson und klickte das Foto des Mannes neben Lucinda Kingsley an, um es zu vergrößern. »Der ältere Sohn hat das Ruder übernommen und festigt den Stand der Familie durch clevere Investitionen. Anstatt Kriege anzuzetteln, konzentriert man sich auf vergleichsweise zivilisierte Maßnahmen, um das eigene Imperium auszubauen.« 

Der junge Mann hatte die Wangenknochen und das dunkle Haar seiner Mutter, wenngleich sein Schopf lockig war. Seine schmalen Lippen und der leere Blick verliehen ihm etwas Geisterhaftes. Er war nicht unattraktiv, doch ihm fehlte das Charisma seiner Mutter.

»Cyrus Kingsley investiert in alles, was der Markt so hergibt«, sagte Alyson. »Tech Ventures, Retail, Immobilien, Pharma, Medien – er mischt überall fleißig mit.«

Agent Blake ergriff das Wort. »Wir haben das Gefühl, dass er sich dabei unlauterer Mittel bedient hat.« Er gab Alyson ein Zeichen und die Art, wie er gestikulierte, zeigte deutlich, dass es ihm nicht schnell genug ging.  

Auf dem Bildschirm erschien ein neues Foto.

»Herb Hildesheimer.« Alyson deutete mit der Hand auf den älteren Herren. »Vierundsechzig, millionenschwerer Unternehmer. Hat im letzten Monat spontan eine Segeltour gemacht und ist nicht wiedergekehrt. Kurz vorher hat seine Company mit einer Tochterfirma der Kingsleys fusioniert.«

Sie blendete eine PR-Meldung ein, die Cyrus Kingsley und Hildesheimer bei der Vertragsunterzeichnung zeigte.

»Könnte alles ein Zufall sein«, warf Orla ein. »Gab es denn Hinweise über Unstimmigkeiten zwischen den Parteien?«

Als hätte sie darauf gewartet, zauberte Alyson mithilfe der Fernbedienung drei weitere Fotos auf den Bildschirm.

»Hildesheimer ist kein Einzelfall: Maxwell Prescott, Richard Donovan, Julia Bennett. Sie alle haben Geschäfte mit den Kingsleys gemacht und sie alle sind kurz darauf verschwunden. Bennett war Anwältin und hatte einige Transaktionen der Familie abgewickelt. Prescott und Donovan waren genau wie Hildesheimer Geschäftsleute und regelmäßig zu Gast auf dem Anwesen der Kingsleys.«

»Kann ich das erste Foto noch mal sehen?« Orla war etwas aufgefallen, das sie schon seit ein paar Minuten störte, doch nicht ganz greifen konnte. »Das von Hildesheimer.« Sie stützte ihr Kinn auf ihre Faust und beugte sich vor, um besser sehen zu können. 

Hildesheimer erschien erneut auf dem Bildschirm.

»Und jetzt den Artikel zur Fusion?«

Alyson tat wie ihr geheißen und projizierte die Meldung daneben.

Irgendetwas stimmte nicht. Immer wieder wechselte Orla von einem Foto zum anderen, bis sie das kleine Detail gefunden hatte, das ihr aufgefallen war. »Wer auch immer die Fusion unterzeichnet hat, es war nicht Hildesheimer«, sagte sie schließlich.